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Was ist eine Gruppe?
Gruppe ist der Überbegriff für ein abgegrenztes soziales System von Individuen, das eigene Strukturen bildet, Entwicklungsphasen durchlebt und Regeln konstituiert. Deine Gruppe wird aus verschiedenen Sub-Gruppen bestehen, die ein gewisses Eigenleben führen. Auch die Gesamtheit bildet eine Gruppe mit Regeln. Die Gruppe existiert als systemische Einheit, die nach einem Gleichgewichtszustand strebt. Team ist ein „Sonderfall“ einer Gruppe, mit von allen Mitgliedern geteilten Zielen, meist ausgeprägtem Zusammenhalt und individueller Verantwortungsübernahme durch die Mitglieder. In der Arbeitswelt repräsentiert ein Team eine kleine, funktional strukturierte und leistungsorientierte Gruppe mit klarer Zielübereinstimmung, entwickelten Normen, definierter Rollenstruktur und erprobter Kooperationsfähigkeit. Ein Team ist prinzipiell in der Lage sich selbst zu steuern und kommt ohne einen Vorgesetzten im hierarchischen Sinne aus.
Konstituierende Merkmale | Erklärung |
---|---|
Ziel | essentiell, da ohne gemeinsames Ziel Gruppen zerfallen |
wechselseitige Beziehungen | Mitglieder einer Gruppe kennen sich und bauen sachliche und emotionale Beziehungen zueinander auf |
Strukturen | beziehungs- oder aufgabenabhängige relativ stabile Muster |
Grenzen | Zugehörigkeit und Abgrenzung, Identifikation mit dem „Innen“ |
Dauer | nur über einen längeren Zeitraum entstehen Gruppenzusammenhalt und Identifikation |
Gruppengröße | drei bis max. 15 Mitglieder bilden Kleingruppen, bei Großgruppen entstehen diverse Untergruppen |
In einer Gruppe entstehen Regeln und Normen (Wertmaßstäbe), um das Verhalten der Mitglieder abzustimmen (Wer darf was und was nicht?).
- a) Bezüglich der Gruppenleistung (Leistungsnorm)
- b) Im Umgang miteinander (Verhaltensnorm)
Diese Rollen entwickeln sich während der Formierungsphase der Gruppe. Bereits beim ersten Treffen werden bestimmte Teilnehmer versuchen, ihren Einflussbereich zu etablieren. In der Anfangsphase ist vieles möglich, aber hier wird auch das Grundgerüst der Gruppe festgelegt. Es ist wichtig zu beachten, welche Handlungen toleriert, welches Verhalten sanktioniert und welches gefördert werden soll. Erst wenn die "Hackordnung" festgelegt ist, findet die Gruppe Ruhe und kann produktiv arbeiten.
Die Rollenstruktur, die sich aus
- a) der formellen Arbeitsteilung
- b) den informellen sozialen und emotionalen Beziehungen ergibt, ist ebenfalls interessant.
Im Kontext einer Gemeinde gibt es die Währung: Leistung gegen Beziehung zum Leiter/in. Von Anfang an sollte darauf geachtet werden, dass man sich nicht verschuldet. Das geschieht, wenn man mehr verspricht, als man geben möchte oder kann. Achte auf deine Freiheit und Klarheit bezüglich der Gruppe. Wer etwas beitragen möchte, tut dies für die Gruppe und für Gott, nicht, um eine Beziehung zu "kaufen".
Damit verbunden ist die Rangstruktur als informelle Hierarchie, die die Verteilung von Führung, Status, Macht und Einfluss in der Gruppe beschreibt.
Gruppendynamik
bezeichnet die Gesamtheit der "Bewegungen" in einer Gruppe zwischen den Polen Integration (wir gehören zusammen, bilden eine Einheit, sind ein Ganzes usw.) und Differenzierung (wir unterscheiden uns durch Macht und Einfluss, Status, Fähigkeiten,...).
Gruppen-/-Teamentwicklung
meint den Prozess des Wachsens und Reifens einer Gruppe über bestimmte Phasen hinweg. Dieser Prozess verläuft hauptsächlich über eine Identifizierung mit der Aufgabe und dem Ziel der Gruppe, über die Bewältigung gemeinsamer Probleme und Konflikte sowie die Klärung und Regelung der sozial-emotionalen Beziehungen zwischen den Mitgliedern sowie der Abgrenzung gegenüber anderen Gruppen.
Rollendynamiken in der Gruppe
Gruppendynamische Sichtweisen: der vertikale und der horizontale Schnitt
Der vertikale Schnitt: Einflussfaktoren aus der äußeren und inneren Umwelt
Welche Faktoren beeinflussen eine Gruppe? Keine Gruppe existiert völlig autonom, sondern wird auf sozialer Ebene von zwei Seiten beeinflusst. Sie nehmen Einfluss, werden jedoch gleichzeitig auch beeinflusst. Wenn du eine Gruppe in Berlin gründest, wird sie anders beeinflusst als bei einer Gründung auf dem Land. Auch Denominationen oder Netzwerke prägen die Gruppe. Gleichzeitig formen die individuellen Teilnehmer mit ihren Vorstellungen das Gesamtbild der Gruppe. Insbesondere in Gemeinden strebt der Leiter/die Leiterin danach, eine eigene geistliche Kultur zu etablieren. Dies gelingt jedoch nur, wenn die prägende Kraft stark genug ist, da andernfalls die Einflussnahme von außen oder innen in der Gruppe fest verankert wird.
Um die Analyse der spezifischen Umweltbedingungen einer Gruppe zu erleichtern und aussagekräftiger zu gestalten, ist es sinnvoll, zwischen der äußeren und inneren Umwelt einer Gruppe zu differenzieren.
Äußere Umwelt
Die äußere Umwelt einer Gruppe wird durch materielle Rahmenbedingungen, personelle und technische Ressourcen, Besitzverhältnisse, rechtliche Regelungen sowie formale Aufgabenverteilung beeinflusst. Die jeweilige Aufgabe und das Ziel einer Gruppe wirken sich auf die innere Ordnung aus. Zur äußeren Umwelt gehört auch der Grad an Freiwilligkeit oder Zwang, der mit der Zugehörigkeit zur Gruppe verbunden ist.
In einigen Städten gibt es prägende Kräfte, die erkannt werden sollten, bevor sie die Handlungsfähigkeit beeinträchtigen. Zum Beispiel haben manche Städte Gemeinden, die besorgt sind, dass ihre Mitarbeiter abgeworben werden. Dies führt zu einer protektiven Haltung, die das Gesamtwachstum der Stadt behindert. Neue Gruppen müssen aktiv dagegen angehen und alternative Handlungsweisen erlernen, um nicht in die gleiche Falle zu tappen.
Innere Umwelt
Die innere Umwelt einer Gruppe umfasst alle bewussten und unbewussten Impulse, Gefühle, Bedürfnisse, Wertvorstellungen, Wahrnehmungen, Verhaltensweisen und Ansichten der einzelnen Mitglieder. Eine Gruppe kann nur einen Teil davon integrieren, während ein anderer Teil ausgeschlossen werden muss. Eine Gruppe, die "alles" zulässt und die Individuen nicht begrenzt, verliert ihre Orientierungsfunktion und droht, sich in der Überlastung mit individuellen Interessen aufzulösen.
Die Mitgliedschaft in einer Gruppe erfordert Anpassungsleistung und den Verzicht auf einen großen Teil der eigenen Möglichkeiten, die in der Gruppe keinen Platz haben. Die innere Grenzziehung ist nicht unverrückbar. Gruppendynamische Interventionen haben das Ziel, die Grenze gegenüber der inneren Umwelt zu erweitern und flexibler zu gestalten, um den Individuen in der Gruppe einen größeren Spielraum zu bieten und den Anpassungsdruck zu verringern. Die Spannung zwischen individueller Freiheit und dem Zusammenhalt der Gruppe kann nicht einseitig zugunsten der Individuen aufgelöst werden, da die Autonomie der Gruppe neben dem Nutzen für die einzelnen Mitglieder auch Anpassungskosten mit sich bringt.
In einfacheren Worten ausgedrückt ist dies die Herausforderung "besucherorientierter" Gemeinden. Hier möchte man Menschen nicht direkt auf ihr Verhalten ansprechen, um sie nicht abzuschrecken (beispielsweise in Bezug auf Sünde). Gleichzeitig wird jedoch bestimmtes Verhalten in der Gruppe toleriert, was zu Frustration bei einzelnen Mitgliedern führt. Ein Beispiel hierfür ist der Umgang mit Sexualität. Neue Gemeindeglieder fühlen sich nicht verpflichtet, die Sexualmoral der Gruppe zu teilen. Die Leitung möchte die Neuen nicht direkt vor den Kopf stoßen und adressiert das Thema nicht. Bald löst sich der Standard der bestehenden Gruppe auf. Die Grenze wurde zu stark in Richtung Individualität verschoben. Die Gemeindeleitung möchte nun gegensteuern und startet eine Predigtreihe über das Thema, um die Gruppe wieder auf einen neuen Standard auszurichten.
Gruppendynamische Perspektive
In diesem Ansatz entsteht die spezifische Gruppe durch die Festlegung von Grenzen gegenüber beiden Umwelten und den daraus resultierenden Konflikten und Spannungen, die von der Gruppe ausbalanciert werden müssen. Der gruppendynamische Blick zeichnet sich durch seine Fokussierung auf die Eigenständigkeit des Systems zwischen den beiden Umwelten aus.
Dabei unterscheidet sich dieser Blick von der psychologischen und gruppentherapeutischen Perspektive, die vorrangig die innere Grenzziehung betrachtet und danach fragt, wie die Gruppe von den einzelnen Mitgliedern und wie die Mitglieder von der Gruppe beeinflusst werden. An der Sozioschnittstelle beschäftigen sich Sozialwissenschaftler insbesondere mit der Frage, wie äußere Bedingungen – beispielsweise Handlungsdruck, fehlende oder vorhandene Mitgliedschaftsalternativen, bestimmte Aufgabentypen – das Innenleben einer Gruppe beeinflussen. Das soziale System wird dabei hauptsächlich als abhängige Variable betrachtet.
Als Leiter/in ist es wichtig, sich über die Prägungen im Klaren zu sein, die von außen und innen in die Gruppe gelangen. Traue dich, eigene Grenzen zu setzen, nachdem du aus Gottes Wort Klarheit gewonnen hast. Die Alternative, "für alles offen" zu sein, ist nicht umsetzbar und führt zur Auflösung der Gruppe zwischen ihrer Außen- und Innenwelt. Je klarer die Identität der Gruppe ist, desto stärker wird ihre Strahlkraft sein.
Der horizontale Schnitt: Das Sichtbare und das Verborgene
Überträgt man die bekannte Eisberg-Analogie auf die Gruppe, ergibt sich ein Modell mit verschiedenen Schichten. Das manifeste Geschehen über der "Wasseroberfläche" ist für alle Beteiligten wahrnehmbar und besprechbar. Darunter liegen mehrere Schichten latenten Geschehens, das je weiter es von der Oberfläche entfernt ist, nur erahnt werden kann. Es gibt auch Vermutungen, die im normalen Gruppenalltag nicht besprochen werden.
Die Sachebene
Auf der Arbeits- oder Sachebene einer Gruppe geht es um alles, was die Aufgabe der Gruppe und ihr Arbeitsziel betrifft. Diese Ebene lässt sich gemäß der Logik der jeweiligen Aufgabe beschreiben, denn verschiedene Aufgaben führen zu unterschiedlichen Prozessen auf der manifesten Ebene. Das manifeste Geschehen lässt sich unter dem Aspekt der Funktionalität betrachten: Führt das, was die Gruppe tut, zur Erfüllung der Aufgabe und zur Erreichung des Ziels oder nicht?
Diese Ebene entspricht dem, was in Organigrammen, Missionsstatements und Dienstbeschreibungen zu finden ist. Jede Gruppe strebt nach der Transformation der Umgebung, da dies ihre Existenzgrundlage bildet.
Die soziodynamische Ebene
Von der Sachebene unterscheidet sich die Beziehungsebene oder soziodynamische Ebene, die entsteht, wenn Menschen über einen längeren Zeitraum miteinander kommunizieren oder zusammenarbeiten. Sie liegt teilweise sichtbar und teilweise unsichtbar auf der Wasseroberfläche. Das Geschehen auf dieser Ebene lässt sich nur zu einem kleinen Teil aus dem ableiten, worüber gesprochen wird, sondern wie gesprochen wird: Wer hört wem zu? Wer reagiert auf wen oder nicht? Wer und was findet Beachtung oder nicht? Welche Vorschläge werden aufgegriffen, welche nicht?
Diese Ebene umfasst Vorgänge, die von allen Anwesenden beachtet werden, deren Auswirkungen sie spüren, aber die in aller Regel nicht direkt besprochen werden. Sie werden eher in Pausen und im informellen Leben der Gruppe unter Gleichgesinnten diskutiert. Man spricht über die Gruppe und über die, die gerade nicht anwesend sind, und schafft damit über die Abwesenden einen gemeinsamen Bezugspunkt im Gespräch, vergleichbar der Orientierung an der Sachebene. Es wird oft als bedrohlich erlebt, die aktuelle Dynamik unter den Beteiligten anzusprechen, vor allem die störenden und möglicherweise dysfunktionalen Aspekte. Sach- und Beziehungsebene bleiben getrennt.
Die Psychodynamische Ebene
Etwas weiter in der Tiefe unter der Wasseroberfläche liegt die Ebene der Psychodynamik. Die Grundannahme ist, dass bei allen Gruppenmitgliedern und in jeder Gruppensituation Wünsche, Bedürfnisse, Ängste und Befürchtungen aktiviert werden, die wir aus unserer Lebensgeschichte mitbringen.
Kernkonflikt einer Gruppe
Um das Besondere einer Gruppe zu verstehen, lohnt es sich, nach dem Konflikt zu suchen, der für eine Gruppe typisch, prägend oder Identitätsstiftend ist und daher während ihres Bestehens in immer neuen Varianten von den Gruppenmitgliedern durchgespielt wird. Im gruppendynamischen Verständnis geht es darum, einen solchen Kernkonflikt als konstitutiven Teil der Gruppe zu begreifen und die in ihm angelegte Spannung so zu gestalten und zu nutzen, dass sie die Gruppe nicht blockiert, sondern in Bewegung bringt.
Die Gemeinde hat eine eingebaute Spannung von der Bibel her. Sie ist Brückenkopf des Reiches Gottes in der Welt. Sie ist umgeben von einer Welt, die sie missionieren will, aber gleichzeitig möchte sie anerkannt und integriert sein. Das ist ein schwerer Konflikt, den andere säkulare Gruppen so nicht haben. Gemeinden versuchen diese Spannung zu reduzieren, indem man nicht direkt missioniert. Bewegungen versuchen eigene theologische Ansätze dafür zu entwickeln (z.B. missionale Bewegung), indem man die Anliegen des Evangeliums kurzerhand zu Anliegen der Gesellschaft umdeklariert. So erlebt die Gemeinde den Widerstand der Umwelt und zieht sich entweder zurück oder wird zum „bunten Vogel“ (Sekte). Beides setzt den Mitgliedern der Gruppe zu. Als Leiter/in ist es wichtig, diese Spannung zu benennen und aus der Unschärfe zu holen.
Weil der Hauptkonflikt oft nicht gelöst werden kann, verlagert sich der Konflikt auf die Machtebene. Hier treffen Fraktionen aufeinander, die überlagert von „biblischen Argumenten“ für ihre Sicht der Dinge werben. Solche Konflikte verkleiden sich in Themen wie „Sind wir eine Gemeinde für die Welt oder heiligen wir uns für das Wiederkommen Jesu?“ oder „Darf man ein Schlagzeug in der Gemeinde haben, oder nicht?“ Im Kern geht es aber um Verletzungen und Anspruchsdenken an die eigene Position in der Gruppe, die aus dem Negieren der Frustration über die Erfolglosigkeit bei der Primäraufgabe (Mission) entsteht.
Zusammenfassung:
Man bildet Gruppen als abgegrenzte soziale Systeme mit eigenen Strukturen, Entwicklungsphasen und Regeln. Eine Gruppe besteht aus verschiedenen Sub-Gruppen, die ein Eigenleben führen, bildet aber insgesamt eine systemische Einheit. Essenziell sind gemeinsame Ziele, wechselseitige Beziehungen und eine begrenzte Gruppengröße. In der Gruppenentwicklung spielen Regeln, Normen und die Identifikation des Kernkonflikts eine entscheidende Rolle.