Thomas von Aquin (1225-1272) darf als der wohl einflussreichste Theologe der römisch-katholischen Kirche gelten. Zugleich ist er ein, wenn nicht der Hauptvertreter der hochmittelalterlichen Scholastik. In seinem Hauptwerk, der Summa Theologica, beschäftigt er sich eingangs mit der Frage, ob und wenn ja inwieweit es sich bei der Theologie um eine Wissenschaft handelt. Ebenso finden sich hier seine berühmten ‚Gottesbeweise‘.
Quaestio 1
Erster Artikel
Die Notwendigkeit der heiligen Wissenschaft
a) Gegen die Behauptung, dass die heilige Wissenschaft für den Menschen notwendig sei, scheint die Schrift, die Vernunft und die Erfahrung zu sprechen. Denn die Schrift warnt: „Forsche nicht nach dem, was über deine Vernunft und über deine Natur hervorragt.“ (Eccl. 3.) Die Vernunft ferner hat zum Gegenstande ihrer Forschung das Sein im allgemeinen; dieses Sein aber erläutern nach allen Richtungen hin die philosophischen Wissenschaften, also erscheint eine weitere Wissenschaft als diese letztgenannten nicht notwendig. Dazu kommt, dass gemäß der Erfahrung aller Jahrhunderte es immer ein Wissen über Gott bereits gegeben hat, welches demnach auch ‚theologia‘, Theodizee, genannt worden ist. Es scheint also eine Notwendigkeit für die Existenz einer besonderen „Theologie“, einer sogenannten heiligen Wissenschaft, gar nicht zu bestehen.
Auf der anderen Seite aber heißt es II. Tim. 3, 16.: „Jegliche, von Gott eingegebene Schrift ist nützlich, um zu lehren, zu überzeugen, zu bessern, zu erziehen zur Gerechtigkeit.“ Die Heilige Schrift aber, welche hier als Quelle einer gewissen Kenntnis genannt wird, ist außerhalb aller Zweige der Philosophie, die von der natürlichen menschlichen Vernunft erfunden worden sind. Also erscheint eine solche Kenntnis, die nicht zur natürlichen Philosophie gehört, wenigstens als nützliche.
b) Ich antworte, es sei für das Heil der menschlichen Natur notwendig, dass außer den philosophischen Wissenszweigen, welche die menschliche Vernunft zum Gegenstande hat, eine Wissenschaft bestehe, die sich auf die göttliche Offenbarung stützt und in dieser ihr leitendes Prinzip sieht. Die Gründe sind folgende:
1. Der Mensch hat zu Gott Beziehung als zu einem Endzweck, welcher die Begriffskraft der Vernunft überragt. Denn es steht geschrieben: „Das Auge hat nicht geschaut, o Gott, ohne Dich, was Du bereitet hast denen, die Dich lieben.” (Jes. 64.) Der Endzweck aber, soll anders der Mensch seine innere Meinung und sein Handeln danach einrichten und zum betreffenden Zwecke hinlenken, muss notwendigerweise vorher erkannt werden. Deshalb war es eine Notwendigkeit, dass, diesen Endzweck vorausgesetzt, dem Menschen einige Wahrheiten durch Offenbarung mitgeteilt wurden, welche die
Begriffskraft der menschlichen Vernunft überragen.
2. Zudem war es auch nach einer anderen Seite hin notwendig, dass der Mensch durch Offenbarung von seiten Gottes unterrichtet würde: nämlich für das leichtere Verständnis der rein natürlichen Wahrheiten. Denn was für Wahrheiten die menschliche Vernunft über Gott erforscht hat, das wissen verhältnismäßig nur wenige; und zwar erkennen sie es mit Zuverlässigkeit erst nach längerer Zeit; und noch dazu unter Beimischung mannigfacher Irrtümer; — und doch hängt von der Kenntnis dieser Wahrheiten das Gesamtwohl des Menschen ab, das ja in Gott besteht. Damit also die Menschen ihr Heil mit mehr Sicherheit und größerer Leichtigkeit finden, war es notwendig, dass sie über die göttlichen Dinge vermittelst der göttlichen Offenbarung unterrichtet würden. Somit erhellt die Notwendigkeit, dass außer den rein philosophischen Wissenschaften, in denen die natürliche Vernunft Maß und Richtschnur ist, auch eine heilige Wissenschaft es gebe, welcher als Stütze, Maß und Richtschnur die Offenbarung dient.
c) Daraus ergiebt sich zugleich die Erwiderung auf die Gegengründe. Was die Schrift betrifft, so erklärt sie sich an der bezeichneten Stelle selber. Denn sie sagt unmittelbar darauf: „Vieles, was die auf die Sinne angewiesene natürliche Vernunft des Menschen übersteigt, ist dir gezeigt worden.“ Die Vernunft wäre allerdings gegen die Notwendigkeit der heiligen Wissenschaft in dem Falle, dass diese auf Prinzipien sich stützte, welche bereits die reine natürliche Vernunft an die Hand gibt; nach dieser Seite hin wäre nämlich durch die verschiedenen philosophischen Wissenszweige vorgesorgt. Dieser Fall tritt aber hier nicht ein. Vielmehr sind die Prinzipien, aus denen die heilige Wissenschaft vorgeht, von Gott im Glauben offenbart; und liegt der Vernunft in der heiligen Wissenschaft nur ob, dieselben auf d5ie verschiedenen natürlichen Verhältnisse anzuwenden. Wo aber die Prinzipien, welche einem Wissen zu Grunde liegen, verschieden sind, da ist auch das Wissen selber verschieden. Was schließlich auf Grund der Erfahrung entgegengehalten worden ist, das hält auch nicht die Probe aus. Denn die Verschiedenheit der Wissenschaften hängt ab, wie eben gesagt wurde, von der Verschiedenheit der maßgebenden Beweisgründe oder Prinzipien. Sowohl der Astronom als auch der bloße Naturphilosoph z. B. beweist, dass die Erde rund ist. Aber der erstere beweist dies aus mathematischen Gründen, also durch Prinzipien, die an und für sich von einem bestimmten Stoff absehen; der Naturphilosoph aber, der sich mit den stofflichen Dingen als bestimmt stofflichen, d. h. unter den Schranken von Zeit und Ort stehenden Dingen beschäftigt, beweist diese selbe Wahrheit mit solchen Gründen und vermittelst solcher Prinzipien, welche unmittelbar aus dem bestimmten Stoffe geschöpft sind, somit vom bestimmten Stoffe nicht absehen, sondern ihn als solchen voraussetzen. Deshalb sind die Astronomie und die Naturphilosophie immerdar verschiedene Wissenschaften, mag auch das Ergebnis ihres Forschens materiell derselbe Satz sein; denn von verschiedenen Arten von Gründen geht in ihren Beweisen die eine und die andere aus. Somit kann wohl auch die natürliche Philosophie über göttliche Dinge forschen und über sie Behauptungen aufstellen; und trotzdem ist sie deshalb nicht die gleiche Wissenschaft wie die heilige, selbst mit Rücksicht auf die für beide gemeinschaftlichen Behauptungen, wie z. B. die Existenz Gottes dies ist. Denn die Prinzipien für eine jede von beiden sind verschieden: bei der einen „Theologie“ sind diese Prinzipien reine Erzeugnisse der natürlichen Vernunft; bei der anderen sind sie vom Glauben geoffenbart.
Zweiter Artikel.
Die heilige Wissenschaft hat den Charakter wahrer Wissenschaft.
a) Dass die heilige Wissenschaft wahrhaft Wissenschaft sei, scheint aus zwei Gründen geleugnet werden zu müssen.
I. Dem Wissen als solchem ist es wesentlich eigen, vom Bekannteren zum Unbekannteren vorzuschreiten; und daraus folgt, dass schließlich jeglicher wahren Wissenschaft Prinzipien zu Grunde liegen müssen, welche durch und aus sich allein anerkannt sind, nämlich keinerlei weiteren Beweises bedürfen, also als allgemein bekannt vorausgesetzt werden; wie z. B. „das Ganze ist größer als einer von seinen Teilen“ oder „ein und dasselbe kann nicht zugleich tatsächlich bestehen und nicht bestehen“. Die heilige Wissenschaft aber geht von den Glaubensartikeln als ihren Prinzipien aus, die nicht aus und durch sich selbst klar, also nicht allgemein bekannt sind; denn „nicht alle haben den Glauben“, heißt es II. Thess. 3.
II. Dem Wissen ist es ferner wesentlich eigen, dass es sich nicht auf das Einzelne, sondern auf das Allgemeine richtet. Nicht z. B. ist der einzelne Mensch Petrus an und für sich Gegenstand des Wissens, sondern der einzelne Mensch ist es auf Grund der allgemeinen Gattung „Mensch”; soweit der einzelne nämlich an dieser Gattung teilnimmt und in ihr den formalen Grund seines Seins hat. Die heilige Wissenschaft aber behandelt einzelne Tatsachen als einzelne und nicht unter dem Gesichtspunkt der Allgemeinheit; wie z. B. die Handlungen Abrahams, Isaaks und Jakobs und ähnliche.
Also scheint ihr der Charakter wahrer Wissenschaft nicht zuzukommen. Auf der anderen Seite sagt jedoch Augustin (14. de Trin. cap. 1.): „Dieser Wissenschaft kommt alles jenes zu, wodurch der im höchsten Grade heilbringende Glaube erzeugt, genährt, verteidigt, gestärkt wird.“ Das kommt aber keiner anderen Wissenschaft zu als eben der heiligen. Nach Augustin also und ebenso gemäß dem Grunde, den er anführt, muss die heilige Wissenschaft den Charakter wahren Wissens haben.
b) Ich antworte, dass die heilige Wissenschaft wirklich eine Wissenschaft ist. Es muss dabei bemerkt werden, dass es eine doppelte Art von Wissenschaften gibt. Denn die einen, wie die Arithmetik, Geometrie und ähnliche, gehen von Prinzipien aus, welche durch und aus sich klar und somit für das natürliche Licht der Vernunft annehmbar sind. Andere Wissenschaften aber gehen von Prinzipien aus, die nur kraft des Lichtes einer höheren Wissenschaft an und durch sich bekannt, d. h. evident sind; wie z. B. die Perspektive von Prinzipien ausgeht, welche die Geometrie ihr leiht und die nur in der letzteren wissenschaftlich gerechtfertigt werden; die also in der Wissenschaft der Perspektive nicht erwiesen, sondern als gewiss vorausgesetzt sind; und in eben solchem Verhältnisse steht die Musik zur Arithmetik. Zur Art dieser an zweiter Stelle genannten Wissenschaften gehört die heilige Wissenschaft. Denn sie geht aus von Prinzipien, die zwar nicht von ihr begriffen und erwiesen werden, also ihr auch nicht Special aus sich allein heraus bekannt sind; — sondern ihre Prinzipien sind aus sich heraus klar nur im Lichte einer höheren Wissenschaft; nämlich der Gottes und der Seligen. Gleichwie daher die Musik annimmt und glaubt jene Prinzipien, welche die Arithmetik ihr gibt; so nimmt die heilige Wissenschaft an und glaubt die Prinzipien, welche von Gott geoffenbart worden.
c) I. Es wird demgemäß auf den ersten Gegengrund erwidert, dass die innerhalb einer Wissenschaft maßgebenden Prinzipien entweder aus sich heraus bekannt sind oder dadurch, dass sie auf eine höhere Wissenschaft zurückgeführt werden, in welcher sie evident sind und von welcher die untergeordnete Wissenschaft sie empfängt. Zu der Art der letzteren gehören die Prinzipien der heiligen Wissenschaft; sie verbinden unmittelbar mit Gott, denn da, nämlich in Gott, wird geschaut, was hier geglaubt wird; und der einzige feststehende Grund in der heiligen Wissenschaft ist die Evidenz der Glaubensartikel in Gott.
II. Was aber die einzelnen Tatsachen anbelangt, welche in der heiligen Wissenschaft vorkommen; so ist es zurückzuweisen, wenn gemeint werden sollte, dieselben seien Hauptgegenstand der heiligen Erkenntnis. Sie werden vielmehr nur aIs Beispiele benützt, wenn es sich um ein tugendhaftes Leben handelt, wie in der Moralwissenschaft; oder sie dienen zur Empfehlung der Autorität jener Männer, welche die sichtbaren Träger der Offenbarung gewesen.
[…]
Quaestio 2
Zweiter Artikel.
Das Dasein Gottes ist beweisbar.
a) Dies scheint falsch zu sein:
I. weil es ein Glaubensartikel ist, dass Gott existiere; und somit wird jeglicher Beweis davon nicht nur überflüssig, sondern unmöglich. Denn jeder Beweis bewirkt ein Wissen, lässt also das Bewiesene schauen; „der Glaube aber hat zum Gegenstande das nicht Erscheinende, also nicht zu Schauende,“ wie Paulus sagt (Hebr. 11.);
II. weil weder ein Beweis a priori noch a posteriori möglich ist; nicht a priori, weil das „Wesen“ Gottes uns unbekannt ist, also daraus keineswegs das „Dasein“ erschlossen werden kann; — nicht a posteriori, weil zwischen Gott und den Geschöpfen gar keine Proportion besteht, denn Gott ist unendlich, das Geschöpf aber endlich; zwischen Endlichem und Unendlichem ist aber keine Proportion vorhanden, so dass etwa aus dem ersteren das letztere erschlossen werden könnte.
Auf der anderen Seite sagt Paulus (Röm. 1.): „Das Unsichtbare Gottes wird durch das, was geschaffen worden ist, als existierend der Vernunft erschlossen.“ Dies wäre aber unrichtig, wenn die Geschöpfe nicht einmal das allererste, was überhaupt an Gott erkannt werden kann, nämlich sein Dasein dartäten.
b) Ich antworte, dass es eine doppelte Art Beweisführung gibt; nämlich eine a priori, welche vom propter quid eines Seins, also von der Kenntnis seines inneren Wesens ausgeht; und eine andere a posteriori, oder eine demonstratio quia, welche von dem ausgeht, was für uns klarer und deshalb früher ist; nämlich von den Wirkungen eines Seins. Denn wenn in einem Falle die Wirkung für uns klarer und bekannter vorliegt, als die wirkende Ursache derselben, so gehen wir von der Wirkung her zur Kenntnis der betreffenden Ursache vor. Aus jeder Wirkung aber wird vorausgesetzt, dass die Wirkung uns bekannter sei als die Existenz dieser Ursache, bewiesen, dass eine eigene Ursache dafür existiert, und zwar aus dem Grunde, weil die Wirkungen von der Ursache abhängen und somit ist einmal eine Wirkung da, die Ursache davon vorher existieren muss. Also ist Gottes Dasein für uns erweisbar durch die Wirkungen, da sein Wesen uns unbekannt ist und somit ein Beweis a priori von vornherein ausgeschlossen erscheint.
c) I. Auf den ersten Einwand ist einfach zu erwidern, dass Gottes Dasein und anderes Derartige, wo die menschliche Vernunft zur Kenntnisnahme genügt, wie Rom. I. sagt, gar kein Glaubensartikel ist, sondern eine Voraussetzung für den Glauben, ein praeambulum fidei. So nämlich setzt der Glaube die natürliche Kenntnis voraus, wie der Einfluss der Gnade die Natur und im allgemeinen die Vollendung das zu Vollendende, das nämlich, was der Vervollkommnung untersteht. Nichts aber hindert es zudem, dass dasjenige, was an sich beweisbar ist und demnach Gegenstand des eigentlichen Wissens oder Schauens, zugleich von gewissen Menschen als Gegenstand des Glaubens betrachtet werde, welche nämlich den wissenschaftlichen Beweis nicht zu fassen vermögen.
II. Dass ein Beweis a priori hier der Natur der Sache nach nicht statthaben kann, ist bereits gesagt. Bei den Beweisen a posteriori oder aus den Wirkungen aber dient als Beweisgrund nicht zwar das innere Wesen; anstatt des Wesens oder der Begriffsbestimmung jedoch die Wirkung, wenn es gilt zu beweisen, dass die Ursache Existenz habe. Denn um zu beweisen, dass etwas existiere, muss ich zuvörderst als Beweismittel gebrauchen, was der Name bezeichnet; da ich erst erkennen muss, nach wessen Existenz überhaupt gefragt wird, ehe ich nachforsche, was für ein inneres Wesen es besitze. Namen aber werden Gott beigelegt aus dem, was Er gewirkt, wie später noch ausführlich gezeigt werden wird (Kap. 10). Also genügt es, um aus den Wirkungen das Dasein Gottes zu beweisen, dass ich als das Bekanntere, aus dem ich durch logischen Schluss das wenige Bekannte erschließe, dass ich somit als allgemeineren Beweisgrund nehme, was der Name Gott bezeichnet. Die Proportion aber der Ursache mit der Wirkung ist hier gar nicht verlangt, da ich nicht aus dem Grade der Vollkommenheit der letzteren das innere Wesen der Ursache erkennen will; sondern nur deren Existenz. Dazu genügt jedoch eine einzige wie auch immer beschaffene Ursache.
a) I. Solche Beweise zu suchen, scheint von vornherein nutzlos zu sein. Denn wenn ein Sein unendlich ist, so schließt es sein grades Gegenteil von der Existenz aus. Unter „Gott“ wird aber etwas unendlich Gutes verstanden. Also musste das Gegenteil vom göttlichen Sein, das Übel nämlich, in der Welt nicht existieren.
II. Dazu kommt, dass ein solches Wesen wie Gott ganz und gar überflüssig erscheint. Denn alles, was in der Welt existiert, kann durch andere Prinzipien erklärt werden ohne die Voraussetzung einer Ursache wie Gott. In der Tat lässt sich, was mit natürlicher Notwendigkeit geschieht, zurückführen auf die Natur. Was aber aus Absicht geschieht, geht vom freien Willen oder von der Vernunft des Menschen aus. Also besteht keinerlei Notwendigkeit für die Annahme, es sei ein Gott.
Andererseits steht im Exod. 3, 14. als aus der Person Gottes selber gesprochen: „Ich bin, der ich bin.“
b) Ich antworte, die Existenz Gottes wird auf fünffachem Wege bewiesen.
1. Es ist gewiss und zwar bereits in der Erfahrung der Sinne begründet, dass manches in der Welt der Bewegung unterliegt. Was aber auch immer in Bewegung ist, das wird von etwas anderem in Bewegung gesetzt. Denn selbstverständlich wird kein Ding zur Erreichung dessen bewegt, was es bereits im Besitze hat; sondern offenbar bezweckt die Bewegung, das zu erlangen, was noch nicht tatsächlich besessen wird, wohl aber besessen werden kann. Bewegen jedoch kann etwas nur gemäß der Kraft, die es wirklich besitzt. Denn Bewegen will nichts anderes besagen, als ein Vermögen aus dem Zustande der Ruhe in den der Tätigkeit zu versetzen. Aus der Ruhe kann aber ein Vermögen nur dann zur Tätigkeit übergehen, wenn ein Sein, das bereits tatsächlich tätig ist, auf das betreffende Vermögen einwirkt, wie z. B. das Feuer, welches schon in Wirklichkeit warm ist, das Holz erwärmt, das da nur das Vermögen hat, warm zu werden. Denn es ist in der Tat unmöglich, dass etwas eine Vollkommenheit besitzt und dieselbe zugleich nicht besitzt. Was erst warm zu werden vermag, das ist tatsächlich kalt; hat aber das Vermögen, warm zu werden. Es ist demnach schlechthin eine Unmöglichkeit, das sich etwas ganz und gar in derselben Beziehung auf ganz dieselbe Art und Weise zugleich bewege und bewegt werde, somit in diesem Sinne sich selbst bewege; denn um zu bewegen, ist es erforderlich, dass es die entsprechende Kraft besitze, sowie etwas warm sein muss, um erwärmen zu können; um aber nach dem Besitze einer gewissen Vollkommenheit hin bewegt zu werden, darf es dieselbe nicht besitzen. Bewegen und bewegt werden sind also Begriffe, die sich gegenseitig, soweit es genau dasselbe Subjekt angeht, ohne Zweifel ausschließen: gleichwie das Feuer die Fähigkeit ausschließt, warm zu werden. So also ist es unumgänglich notwendig, dass, was auch immer in Bewegung ist, von anderem bewegt werde. Wenn nun aber dasjenige, was in Bewegung setzt, wieder selber in Bewegung ist, so muss auch dieses wieder von einem anderen den Anstoß zur Bewegung erhalten. Es kann jedoch keineswegs in den bewegenden Kräften eine Reihe ohne Ende angenommen werden, da es in diesem Falle tatsächlich keine zuerst bewegende Kraft geben würde, somit aber auch keine der folgenden bewegen könnte, insofern keine derselben bewegt, wenn sie nicht selber von der vorhergehenden den Anstoß erhalten hat, gleichwie der Stock nicht bewegt, wenn er nicht von der Hand in Bewegung gesetzt wird. Notwendigerweise also muss folgerichtig eine erstbewegende Kraft angenommen werden, die selber völlig unbeweglich ist und sonach keiner andern bewegenden Kraft bedarf; diese aber ist nach dem Geständnis aller Gott.
2. Der zweite Weg, auf welchem zur Anerkennung des Daseins Gottes gelangt wird, beruht auf dem Begriff der bewirkenden Ursache. Wir finden nämlich in den uns umgebenden, sinnlich wahrnehmbaren Dingen eine geordnete Folge von bewirkenden Ursachen. Es kann nun jedenfalls nicht gesagt werden, dass etwas sich selber hervorbringe, da es einfach unmöglich ist, dass etwas früher sei als es ist. Gleicherweise ist es aber unmöglich, dass die Folge von bewirkenden Ursachen ununterbrochen ohne Ende sei, da in allen solchen bewirkenden Ursachen, die unter sich einen geordneten Zusammenhang haben, in denen also das eine die Ursache des anderen ist, das Erste die Mittelursache hervorbringt und diese die letzte Wirkung zur Folge hat, mag nun eine einzige Mittelurfache oder eine Mehrzahl angenommen werden. Wird nun die Ursache entfernt, so muß auch die Wirkung fort bleiben; gibt es also kein Erstes, so fällt auch die Mittelursache weg, und folgerichtig zugleich die letzte Wirkung. Da aber bei einer endlosen Reihe von bewirkenden Ursachen keine erste bewirkende Ursache vorhanden sein kann, so kann es auch keine Mittelursache und demgemäß keine Schluss Wirkung geben, was offenbar den Tatsachen widerspricht. Es existiert daher notwendig eine erste bewirkende Ursache, welche eben alle Gott nennen.
3. Der dritte Weg zur Anerkennung der Notwendigkeit des Daseins Gottes geht aus vom Möglichen und Notwendigen. Wir finden nämlich in den Dingen manches, was sein oder auch nicht sein kann; zeigt doch die Tatsache des Entstehens oder Vergehens, dem viele Dinge unterworfen sind, dass eine Möglichkeit vorhanden ist, zu sein, und zugleich die Möglichkeit, nicht zu sein. Es ist aber unmöglich, dass, was so beschaffen ist, immer sei; weil, was in seiner Natur die innere Möglichkeit besitzt, nicht zu sein, zuweilen auch tatsächlich nicht ist. Wenn nun aber schlechthin alles die Möglichkeit hat, nicht zu sein, so war auch einmal nichts. Ist dies jedoch der Fall, so würde auch jetzt noch nichts sein, was offenbar falsch ist. Nicht also alles Sein schließt in sich die Möglichkeit ein, nicht zu sein, sondern es muss etwas sein, was mit Notwendigkeit existiert. Alles Derartige hat nun die Ursache seiner Notwendigkeit entweder von außen oder nicht. Da aber auch hier keine Reihe ohne Ende angenommen werden kann, ebenso
wenig wie rücksichtlich der wirkenden Ursachen, so muß ein Sein existieren, das ganz und gar aus seinem eigenen Innern heraus notwendig ist und diese Notwendigkeit keinem äußeren Grunde verdankt, vielmehr sie in allem, was notwendig ist, verursacht; dieses Sein aber nennen alle Gott.
4. Der vierte Weg, um zur sicheren Kenntnis des Daseins Gottes zu gelangen, geht von der Tatsache aus, dass in den Geschöpfen sich verschiedene Abstufungen des Seins grades vorfinden. Es wird nämlich ohne Zweifel in den Dingen ein höherer und ein niedrigerer Grad von Güte, von Wahrheit und von Seins wert gefunden. Eine solche Verschiedenheit kann aber nur insoweit als möglich angenommen werden, inwieweit ein derartiger Grad mehr oder minder absteht von dem, was den entsprechenden Vorzug im unbedingt höchsten Grade besitzt; wie z. B. etwas im selben Grade warm ist, als es dem unbedingt und notwendig am meisten Warmen nahe steht. Es gibt also ein im höchsten Grade Wahres, ein ausschließlich höchstes Gut, ein schlechthin Ewiges; folgerichtig auch ein Sein, welches auf der ohne Zweifel höchsten Stufe steht. Denn was im höchsten Grade wahr ist, das ist auch im höchsten Grade Sein. Nun ist aber, was irgend eine Eigenschaft im höchsten Grade besitzt, die Ursache dieser selben Eigenschaft, insoweit sie sich in anderen Dingen vorfindet, wie z. B. das Feuer, das am meisten und unabhängig von allem warm ist, die Ursache der Wärme in allen übrigen Geschöpfen bildet. Also existiert ein höchstes Sein, das da wirkende Ursache des Seins und des Wahren und des Guten, mit einem Worte aller Vollkommenheiten ist, die sich irgendwie oder irgendwo vorfinden.
5. Der fünfte Beweis für das Dasein Gottes geht von der Leitung der Dinge aus. Wir sehen nämlich, dass so manche Wesen, die der erkennenden Vernunft entbehren, wie z. B. alles Körperliche in der Natur, bei ihrer Tätigkeit einen Endzweck verfolgen; dies erhellt daraus, dass sie immer oder doch in den weitaus meisten Fällen auf ein und dieselbe Weise tätig find, damit sie erlangen, was für sie vollkommen ist. Sonach werden dieselben nicht vom Zufalle getrieben, sondern durch eine bestimmte Absicht bis zur Erreichung des Zweckes geleitet. Mit Absicht aber zu einem bestimmten Zwecke leiten, kann nur ein mit Wille und Einsicht begabtes Wesen, gleichwie die bestimmte Richtung des Pfeiles den Schützen verrät. Also gibt es ein vernünftiges Sein, welches alle natürlichen Dinge, und zwar insoweit dieselben eben eine Natur haben, zum Zwecke geleitet; und dieses Sein nennen wir Gott.
c) I. Der Einwand hat recht damit, wenn er meint, man müsse Gott die Unendlichkeit zuschreiben. Aber eben aus dieser Unendlichkeit folgt, wie nichtig der Vorwurf ist. Augustin weist ihn mit folgenden Worten zurück (Enchir. c. 11.): „Da Gott im denkbar höchsten Grade gut, nämlich die Güte selber ist, so würde Er in seinen Werken keinerlei Übel zulassen; wenn Er dabei nicht in dem Grade allmächtig und gut wäre, dass Er das Übel selbst zum Guten wendete.“ Es geht also gerade aus der Unendlichkeit der göttlichen Güte hervor, dass der Herr Übel zulasse und von da her Gutes leite.
II. Der zweite Einwurf findet seine Widerlegung im fünften Beweise. Die Natur in jeglichem Dinge ist der Grund, dass das betreffende Ding, dieser Natur überlassen, immer nach einer ganz bestimmten Richtung hin tätig ist. Da sich aber niemand die Natur selber geben kann, so ist es notwendig, dass auch die bestimmte Richtung ihrer Tätigkeit nicht von ihr komme, sondern aus der leitenden Absicht einer höheren wirkenden Ursache stamme. Wo also eine Natur ist, da muss eine Ursache vorhanden sein, die über sie erhaben dasteht und deshalb frei aus sich heraus ihr die bestimmte Richtung der Tätigkeit verleihen kann. Da nun die Natur des einen Dinges mit der des anderen notwendig verbunden ist, muss eine erste Ursache bestehen, welche über alle naturnotwendige Tätigkeit erhaben ist und sie frei aus sich heraus hervorzubringen vermag.
In ähnlicher Weise zeigen die freien und vernünftigen Handlungen auf das Dasein Gottes als auf ihre vornehmste Ursache. Denn sie sind veränderlich und dem Zufalle unterworfen. Der frei handelnde Mensch kann fallen. Was aber veränderlich ist und von sich aus sowohl sein als auch nicht sein kann, muß (vgl. den dritten Beweis) zurückgeführt werden auf ein erstes Princiz, das da unbeweglich ist und innerlich notwendig.
Quellenangabe:
Die katholische Wahrheit oder die theologische Summa des Thomas von Aquin, deutsch wiedergegeben durch Ceslaus Maria Schneider, Band I, Regensburg: Verlagsanstalt G. J. Manz, 1886.