Verhaftung
Mt 26,17-56
Nach der Konfrontation zwischen Jesus und den Leitern des Volkes wird deutlich, dass sie Jesus loswerden wollen. Deswegen ist es ihr Ziel, ihn heimlich zu verhaften, sodass das Volk nicht reagieren kann, bevor er in ihrer Gewalt ist. Es wird deutlich, dass sie sich vor dem Volk fürchten. Das Passahfest war eine gute Gelegenheit, ihn loszuwerden, da er, wie alle frommen Juden, zum Fest in Jerusalem sein würde. Genau zu dieser Zeit kommt es Judas in den Sinn, Jesus an sie zu verraten. Was genau damit sein Ziel war, wird nicht deutlich. Vielleicht war auch er enttäuscht davon, dass Jesus nicht seinem Messias Ideal entsprach? Oder glaubte er sogar noch an Jesus und wollte die finale Konfrontation provozieren? Ganz sicher können wir uns nicht sein. Diese Idee wird auf jeden Fall als eine Eingebung Satans behandelt.
Jesus feiert mit seinen Jüngern das Passahmahl. Diese Mahlzeit und das ganze Fest sollen an den Auszug aus Ägypten erinnern. Damals hatte Gott versprochen, das Volk zu befreien und ihnen befohlen, dass sie eine letzte Mahlzeit in Eile, mit dem Gehstock in der Hand essen sollen. Das Blut des Passahlamms wurde an die Türpfosten geschmiert und schützte die Israeliten, als Gott sein letztes Gericht über die Ägypter ergehen ließ. Im Passahfest wurde dieses Ereignis nachgefeiert. Auch hier steht eine Befreiung an. die Erwartung war, dass Jesus die Rolle des Moses spielen würde. Dass er die Rolle des Passahlammes spielt, war eine Überraschung, auch wenn er sie im Brechen von Brot und im Herausgeben von Wein andeutet.
Das Fest war eng verbunden mit dem alten Bund. Immerhin befreit Gott sein Volk, damit Mose es in die Wüste hinausführen kann, um dort den Bund zu empfangen. Jesus spricht aber jetzt über den neuen Bund, der vor langer Zeit von den Propheten (vor allem Jeremia) angekündigt wurde. Damit gibt er auch dem Passahmahl eine neue Bedeutung. Wenn wir dieses Abendmahl feiern, dann verkünden wir damit den Tod Jesu und bekennen damit gleichzeitig, dass wir auf seine Rückkehr warten.
Unsere Betrachtung vom Abendmahl fällt hier recht kurz aus, was einfach an der Menge an Material liegt, die heute besprochen werden muss. Das Johannesevangelium liefert eine viel detailliertere, aber auch andere Perspektive auf diese Mahlzeit und die Gespräche. Wir werden uns dort also mit diesem Abend viel detaillierter auseinandersetzen.
Nach dem Abendmahl begibt sich Jesus nach Gethsemane, um dort zu beten. Das scheint seine regelmäßige Gewohnheit gewesen zu sein. Deswegen wusste Judas auch, dass sie Jesus dort verhaften können. Dort betet Jesus für sich, während die Jünger in der Nähe warteten. Bei dieser Gelegenheit wirkt Jesus zum ersten Mal wirklich verunsichert und verletzlich. Er fragt sogar, ob der Plan nicht geändert werden könnte.
Der Kelch, den er anspricht, weckt mehrere Assoziationen. Zunächst einmal den Kelch, den er mit seinen Jüngern beim Abendmahl geleert hat. Er hatte diesen mit seinem Blut assoziiert. Zweitens der Kelch, von dem er zu Johannes und Jakobus geredet hatte (Vergl. Mt 20,22; Mk 10,38), als sie ihn baten, zu seiner Linken und zu seiner Rechten zu sitzen. Alle diese Anspielungen haben einen gemeinsamen Hintergrund. Der Kelch ist bei den Propheten häufiger ein Gefäß, in dem Gott seinen Zorn aufbewahrt, um ihn dann auszugießen bzw. um diejenigen, die er richten will, davon trinken zu lassen (Vergl. Jer 25,15; Jes 51,17ff).
Im Laufe des Gebets akzeptiert Jesus aber das Leid, das auf ihn zukommt. Das Gebet: „Dein Wille geschehe“ kommt direkt aus dem Vaterunser.
Die Jünger sind dagegen nicht bereit, sich den Herausforderungen zu stellen. Sie waren sich zuvor sicher, dass sie auch für Jesus sterben würden, sind jetzt aber nicht in der Lage, auch nur eine Stunde mit ihm zu wachen. Nach dem Gebet kommt Judas mit den Handlangern der Priester. Das Zeichen, mit dem er Jesus verrät, ist ein Kuss. Die Worte Jesu an Judas könnten übersetzt werden mit: „Wozu bist du gekommen?“ oder „Tu, wozu du gekommen bist“ (Mt 26,50). Auf jeden Fall liegt die Betonung auf der Anrede: „Freund.“
Jesus macht auch sofort auf das zwielichtige Verhalten aufmerksam. Er war öffentlich im Tempel und niemand hat ihn angerührt. Petrus und die Jünger denken immer noch wie Revolutionäre und greifen schnell zur Waffe. Jesus macht deutlich, dass das nicht sein Weg ist und verbietet es. Darauf fliehen die Jünger.
Im Markusevangelium kommt es noch zu einer Episode, die auf den ersten Blick merkwürdig erscheint (14,50-51). Der Autor erzählt von „einem gewissen jungen Mann“, der Jesus gefolgt ist und seine Kleidung zurücklässt und flieht, als sie versuchen, ihn zu ergreifen. Es scheint sich dabei nicht um einen der Jünger zu handeln. Es wurde spekuliert, dass es sich dabei evtl. um ein Selbstportrait des Autors handeln könnte. In jedem Fall erklärt die Episode, woher wir wissen, was Jesus gebetet hat, während die Jünger schliefen.
Verhandlung
Mt 26,57-68
Jesus wird vor den Hohen Rat, der höchsten jüdischen Autorität im Land, geführt. Hier kommt es zur ersten echten Konfrontation zwischen Jesus und ihnen, einschließlich dem Hohepriester. Dabei scheint es so, als würden sie unterschiedliche Sprachen sprechen und teilweise aneinander vorbeireden. Kaiaphas verteidigt seinen Anspruch auf den Tempel und sein Monopol, die höchste religiöse Autorität zu sein. Außerdem ist es ihm sehr wichtig, Aufstände zu vermeiden. Jesus dagegen geht es um das Reich Gottes. Für Kaiaphas ist es wichtig, Jesus loszuwerden, weswegen verfälschte Zeugenaussagen gegen Jesus gemacht werden. Schließlich ist es ihnen aber nicht möglich, ihn dadurch zu verurteilen. Letztendlich fragen sie ihn direkt, ob er der Messias ist, der Sohn Gottes. Die Bestätigung Jesu und seine weiteren Worte werden als ausreichende Blasphemie angesehen, um Jesus zu verurteilen.
Im Matthäusevangelium (26,69-27,10) werden jetzt für eine kurze Zeit die Geschehnisse um Petrus und Judas ins Auge gefasst. Petrus folgt Jesus zum Hohen Rat und hält sich dort im Hof auf. Dort wird er erkannt und leugnet drei Mal, Jesus zu kennen, so wie Jesus es vorhergesagt hatte. Auch Judas kehrt zum Tempel zurück, er hat erkannt, dass er Unrecht getan hat. Sein Ende ist vor allem dann interessant, wenn man es mit dem Gespräch zwischen Jesus und Petrus im Johannesevangelium (Joh 21,15-19) vergleicht. Sowohl Judas als auch Petrus hatten gesündigt, indem sie Jesus verraten bzw. verleugnet hatten. Beide bereuen, was sie getan haben. Petrus kommt zu Jesus, dem Hohepriester des neuen Bundes und erfährt Vergebung, Versöhnung und bekommt Verantwortung. Judas dagegen geht zum Tempel und den Priestern des Alten Bundes. Auch er will Buße tun und ist evtl. auf der Suche nach Vergebung. Da die Priester aber selbst in seine Sünde verstrickt sind und nichts bereuen, können sie ihm nicht helfen. Judas, der ohne Hoffnung dasteht, bringt sich um. Auch in dieser Perikope wird deutlich, dass der Alte Bund und die alte Priesterschaft wegen ihrer Korruption nicht in der Lage sind, ihre Rolle zu erfüllen und das sie ersetzt werden müssen.
Von allen Evangelien gibt Lukas (Lk 23,1-16) die ausführlichste Verhandlung wieder. Hier wird Jesus zunächst vor Pilatus, den römischen Stadthalter geführt, dann vor Herodes und am Ende wieder vor Pilatus. In allen drei Begegnungen wird betont, dass Jesus unschuldig ist. Es erweist sich aber, dass die Wahrheit über die Schuld und Unschuld von Jesus nicht entscheidend ist. Pilatus kann keinen Aufstand gebrauchen. Herodes ist nicht interessiert, er hatte nur gehofft, ein Wunder zu sehen. Die Hohepriester wollen ihre Position und ihre Autorität verteidigen. Pilatus gibt dem Volk die Gelegenheit, Jesus zu befreien, aber aufgestachelt durch ihre Leiter lassen sie lieber einen Verbrecher laufen. Jesus wird verurteilt. Vielsagend ist ein Satz des Hohepriesters, der im Johannesevangelium wiedergegeben wird (Joh 19,16). Dort fragt Pilatus, ob er ihren König kreuzigen soll. Der Hohepriester antwortet, dass sie keinen König haben, außer dem Kaiser. Bedenkt man, dass die Parole der jüdischen Revolutionäre „Kein König außer Gott“ war, dann wird deutlich, wie weit die Priester gegangen sind, um Jesus loszuwerden.